Systemische Familientherapie

Ein Blick in die Arbeitsweise
der systemischen Familientherapie

Die Systemische Familientherapie konzentriert sich auf die Wechselwirkungen innerhalb von Familien und sozialen Systemen, anstatt individuelle Probleme isoliert zu betrachten. Im Kern geht es darum, Muster und Dynamiken zu erkennen, die zu Konflikten führen, und gemeinsam mit der Familie positive Veränderungen herbeizuführen.

 „Systemische Therapie versteht sich als Dialog. Sie findet als kommunikatives, Sinn stiftendes Geschehen statt und nicht als gezielte Reparatur oder Korrektur einer mehr oder minder verdinglichten Struktur. […] Psychotherapie kann als Dialog unter Experten verstanden werden, die ihren jeweiligen Sachverstand (Expertise) einbringen: der Hilfe Suchende als Experte für das eigene Leben, der Therapeut als Experte für die Durchführung therapeutischer Dialoge. Ziel des Therapeuten ist es, eine kommunikative Situation – systemtheoretisch gewendet: Randbedingungen – zu schaffen, die für die Hilfe Suchenden nützlich ist beim Versuch, die gewünschte, aber bisher vermiedene Veränderung zu wagen. Die Hilfe Suchenden setzen ihre Expertise im Rahmen der Therapie ein, um den Verlauf des therapeutischen Dialogs zu ihren Gunsten mit zu gestalten und dort entstandene Impulse in ihre Lebenspraxis umzusetzen“ (Ludewig, 2009, S.96).

Im Einzelsetting der Systemischen Familientherapie liegt der Fokus auf einem einzelnen Familienmitglied, auch wenn andere Familienmitglieder indirekt in den Therapieprozess einbezogen werden können. Der Ansatz beruht weiterhin auf dem Verständnis, dass individuelle Schwierigkeiten oft in Zusammenhang mit familiären Dynamiken stehen.

Die Arbeit mit der einzelnen Person ermöglicht es, die familiären Muster und Interaktionen zu verstehen, die möglicherweise zu den aktuellen Herausforderungen beitragen. Der Fokus wird darauf gelenkt, wie familiäre Einflüsse das individuelle Wohlbefinden beeinflussen.

Während die Systemische Familientherapie im Einzelsetting weniger direkte Interaktionen zwischen den Mitgliedern eines Systems beinhaltet, wird dennoch versucht, Veränderungen im individuellen Verhalten und Denken zu erreichen, die sich positiv auf das gesamte System auswirken können. Die Therapie dient der Unterstützung des einzelnen Mitgliedes eines Systems bei der Entwicklung neuer Perspektiven, sowie bei der Erforschung alternativer Handlungsmöglichkeiten.


Die systemische Haltung

Ein essentieller Aspekt der systemischen Haltung eines Psychotherapeuten beinhaltet die Würdigung der bisher unternommenen Lösungsversuche seiner KlientInnen, was auch zur Wiederentdeckung und Aktivierung bereits vorhandener Ressourcen der KlientInnen fördert. „Die Würdigung der Klienten, das heißt für den Therapeuten, sich […] neugierig zu interessieren für bisher Geleistetes, Überstandenes und insgesamt für die Ressourcen und Möglichkeiten der Klienten, fördert deren Vertrauen und Kooperation und so auch die Bereitschaft, Hemmnisse und Vermeidungsstrategien aufzugeben“ (Ludewig, 2009, S. 101).

[…] Den Prozess angemessen zu begleiten, setzt einerseits Respekt, Wertschätzung und eine hohe Anschlussfähigkeit für das Bisherige (die bisher versuchte Lösung), aber auch Zuversicht und Neugier bzw. Interesse für das Zukünftige (eigene neue Lösungen) voraus. Eingebettet in Humor und Allparteilichkeit entsteht eine Lösungsatmosphäre, auf deren Basis sich eine Lösung ergibt in dem Bewusstsein, dass Lösung und Anliegen sich weiterhin gegenseitig bedingen“ (Caby & Caby, 2017, S. 21f).

Eine weitere wichtige Grundhaltung von SystemikerInnen, die die Autonomie und Mündigkeit der KlientInnen bestärkt, ist folgende: „Die Chance liegt darin, dass man als Berater eine verantwortungsvolle Haltung des Nicht-verantwortlich-Seins einnimmt. Damit ist gemeint, dass man niemals das Problem des Klienten zu seinem eigenen macht. Es bleibt während des gesamten Prozesses auf der Suche des Ratsuchenden. Die dem Berater verbleibende Verantwortung bezieht sich auf die professionelle Gestaltung des Beratungsprozesses. Nur so kann der Betreffende bewusst oder unbewusst einsehen, dass ihm der Berater nur insofern helfen kann, als er Hilfe zur Selbsthilfe anbietet“ (Barthelmess, 2016, S. 26f).


Lösungsfokussierte Arbeit

Ein ganz zentrales Element der systemischen Therapie ist die Lenkung des Augenmerks auf die Lösung, anstatt des Verweilens beim Problem. Hintergrund der Lösungsfokussierung ist die Überzeugung, dass ein Problem durch ein anderes Denken verursacht bzw. aufrechterhalten wird, als die Überlegungen für eine passende Lösung.

In Anlehnung an Milton Erickson kennt der Klient seine Lösung, weiß aber noch nicht, dass er sie kennt. Er benötigt also Unterstützung beim Finden seines individuellen und zu seinem System passenden Lösungsansatzes. Das Denken des Behandelnden ist daher von viel Respekt für den Klienten und für dessen bisherige Lösungen geprägt. […] Ein Anliegen von systemischer Therapie ist es, den Wahrnehmungskontext des Systems zu erweitern bzw. den Fokus der Wahrnehmung so zu verändern, dass andere Lösungen möglich werden. Die Patienten erweitern dadurch ihren Fächer der Möglichkeiten und können kreativer als bisher mit dem Problem umgehen. In der Praxis bedeutet das, unter Einbeziehung bisheriger Lösungsansätze sowie Ressourcen, weitere Schritte zu fokussieren, die in die Richtung eines definierten Zieles führen werden“ (Caby & Caby, 2017, S.23f).

Zu bedenken ist außerdem auch, dass das Symptom oder das Problem eines Klienten bereits einen Versuch der Bewältigung, also weiter gedacht bereits einen Lösungsversuch für dieses Problem darstellt. Grundsätzlich begünstigt eine lösungsorientierte Ausrichtung der Psychotherapie eine kurzzeitige Therapiedauer.

Mit dem lösungsorientierten Vorgehen kam die Idee hinzu, dass Lösungen dadurch entstehen, dass sie suggeriert werden. Aufgabe des Therapeuten ist daher, den Patienten zu der Idee zu bringen, dass es für sein spezielles Problem eine Lösung geben wird. So ähnlich, wie man den Marathonläufer nicht auf den Marathon vorbereitet, indem man ihm die 42 km lange Strecke vor Augen führt, sondern ihm stattdessen den Moment suggeriert, wenn er die Ziellinie überschreitet. Einfach gesagt: Wir stellen unsere Patienten auf Lösungen ein“ (Caby & Caby, 2017, S. 19).


Ressourcenorientierung

Die ressourcenorientierte Arbeit in der systemischen Familientherapie steht der Defizitorientierung unserer heutigen Gesellschaft klar entgegen. Durch die Ressourcenorientierung in der therapeutischen Arbeit, ist es KlientInnen möglich, neue oder bereits in Vergessenheit geratene Ressourcen in sich zu entdecken, die ihnen bei der Bewältigung ihres Problems hilfreich sein können. Durch die (Wieder-) Entdeckung vorhandener Ressourcen wird auch die Selbstwirksamkeit der KlientInnen gestärkt.

Aus der Ressourcenorientierung ergibt sich ein weiterer Auftrag der systemischen Therapie: Systeme dazu einladen, ihre Ressourcen neu zu entdecken oder kennenzulernen. Der Therapeut oder Berater und das Klientensystem begeben sich auf eine gemeinsame Suche nach Ressourcen und Lösungen. Der Therapeut will seine Klienten zu Experten in Sachen Problemlösungen machen. Dazu brauchen diese Fähigkeiten, die sie schon gekannt, schon wieder vergessen oder noch nie registriert haben. […] Für den Behandelnden gibt es also die Aufgabe, den Fokus der Klienten nicht auf ihren Defiziten ruhen zu lassen, sondern ihn in Richtung eigener Ressourcen zu lenken“ (Caby & Caby, 2017, S. 24).


Literaturverzeichnis

Barthelmess, M. (2016). Die systemische Haltung. Was systemisches Arbeiten im Kern ausmacht. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht

Caby, A. & Caby, F. (2017). Die kleine Psychotherapeutische Schatzkiste. Teil 2. Weitere systemisch-lösungsorientierte Interventionen für die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen oder Familien. (3., durchgesehene Auflage). Dortmund: Borgmann Media

Caby, F. & Caby, A. (2017). Die kleine Psychotherapeutische Schatzkiste. Teil 1. Tipps und Tricks für kleine und große Probleme im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter. (4., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage). Dortmund: Borgmann Media

Ludewig, K. (2009). Einführung in die theoretischen Grundlagen der systemischen Therapie. (2. Auflage). Heidelberg: Carl-Auer

Stavemann, H. H. (2015). Sokratische Gesprächsführung in Therapie und Beratung. (3., überarbeitete Auflage). Weinheim: Beltz